Samstag, 4. Juni 2016 > Ein grauer Tag lag, hinter K . Ab und an Regenschauer, die Erde, noch vollgesogen von den Unwettern der letzten Woche. Kurz, ein übles Wetter für eine Wanderung im nahen Taunus oder eine ausgedehnte Fototour durch die Stadt.
K verbrachte den Tag in seiner Einsiedelei wie er seine kleine Wohnung oft nennt, räumte das Nötigste auf, las, soweit es sein noch gesundes linkes Auge zuließ. Den Nachmittag verbrachte er auf seinem Sofa liegend und hörte mit geschlossenen Augen ein Hörbuch von Carlos Ruiz Zafón. Es hieß Marina (1). Er konnte sich aber auf keines der Dinge die er an diesem Tag tat so richtig konzentrieren. Er war unzufrieden mit sich. Am späten Abend beschloß er vor dem Schlafengehen noch einen kurzen Spaziergang durch das Nordwestzentrum, einem großen überdachten Einkaufszentrum, zu unternehmen.
Da es gerade wieder einmal nieselte nahm der den Weg von seinem Haus am Rande des Zentrums, durch die, unter den Geschäften liegenden Anlieferungszufahrten, vorbei an der Busstation, zu den überdachten Geschäftszeilen. Das Einkaufszentrum lag bereits im Halbdunkel. Es hatten nur noch zwei spärlich besuchte Lebensmittelmärkte und einige Restaurants geöffnet, die in nächster Zeit aber ebenfalls schließen würden.
Er bog in den menschenleeren Modeboulevard ein, in dem sich hauptsächlich Modeketten ,Cafés und Imbisse angesiedelt hatten und schlenderte gemächlich an den Auslagen vorbei. Die Dekoration nahm den Sommer vorweg. Die Schaufensterpuppen offerierten meist den aktuellen Trend luftiger Freizeitbekleidung und Bademoden für den kommenden Urlaub.
Der überwiegende Teil der Puppen war hell, fast weiß und ihre Gesichter waren nur angedeutet. Meist schienen sie mit ihren seelenlosen Augen in eine ferne Welt zu blicken. Andere hatten glänzend schwarze gesichtlose Köpfe in denen sich die spärlichen Lichter spiegelten. Es fanden sich, wenn auch nur wenige, kopflose Geschöpfe unter ihnen. Selten waren die grauen Puppen mit markant ausgearbeiteten Gesichtszügen zu finden. Sie alle sprachen in einer stummen Sprache zu K: „sieh uns nur an, so solltet ihr diesen Sommer gekleidet sein wenn ihr auf der Höhe der Zeit sein wollt, wenn ihr dazugehören wollt. Schaut genau hin. Kauft und ihr werden glücklich sein.“ K registrierte zwar ihre Botschaft aber seine Gedanken führten ihn, immer wieder in die Welt des Hörbuchs.
Nach und nach verlöschten die Lichter der Schaufenster bis auf die Nachtbeleuchtung. K merkte, dass die jetzt nur noch spärlich beleuchteten Schaufensterpuppen anfingen in seine Gedanken einzudringen und sich mit den Erinnerungsfetzen der phantastische Welt des Hörbuchs zu einer neuen Welt zu vermischen. Er setzte sich auf eine Bank, schloß seine Augen, fing die Geräusche des nächtlichen Boulevards ein und ließ seine Gedanken treiben.
K sah, zunächst verschwommen, nach einer Weile deutlicher, dass sich die Köpfe der Schaufensterpuppen in seiner Nähe zu ihm drehten und ihn zu beobachten schienen. Von dem gewölbten Glasdach des Zentrums schwebten die Marionetten aus dem verlassenen Gewächshaus herab, die Marina und Oskar, die beiden Hauptfiguren des Hörbuchs, so erschreckt hatten. Sie verharrten regungslos über K und schienen ihn ebenfalls genau zu beobachten.
Ein lautes schepperndes Geräusch riß K in die Gegenwart zurück. Er schaute sich um. Es war alles so, wie er es wahrgenommen hatte bevor er seine Augen schloss. Nur am Ende des Modeboulevards bemerkte er schattenhaft einen Mann der einen Papierkorb leerte und reinigte. K stand auf, streckte sich kurz und setzte seinen Abendspaziergang fort – seiner Wohnung entgegen. Kurz vor dem Haus, in dem er wohnte, blickte er noch einmal zurück zum Einkaufszentrum.
Ich treibe mich seit 77 Jahren auf dieser Welt herum und habe endlich Zeit mich ganz meinen "Leidenschaften" zu widmen.
Mit dieser Welt meine ich vor allem mein zuhause das Rhein-Main-Gebiet. In Wiesbaden wuchs ich auf und verbrachte ich meine Jugend, in Darmstadt studierte und arbeitete ich und in Frankfurt genieße ich meinen Lebensabend mit meinen Büchern, fotografieren und wandern.