Auf der Straße

 

Dienstag, 8.März 2016 > Ich bin ein Nachkriegskind, ein so genanntes Schlüsselkind, zwei Jahre nach dem großen Schlachten, Morden und Zerstören geboren. In meiner Kindheit waren die Straßen Wiesbadens mein zuhause. Die Eltern waren mit ihrem persönlichen „Wiederaufbau“, beschäftigt. ... 

 

Für mich fühlt es sich heute noch so an wie es Henry Miller in seiner Erzählung „Der vierzehnte Bezirk“ beschreibt:

 „auf der Straße wurde ich geboren, und auf der Straße wuchs ich auf. Wenn man auf der Straße geboren ist, so bedeutet das, daß man sein ganzes Leben herumwandert, daß man frei ist. Es bedeutet Unfall und Zufall, Drama, Bewegung. Es bedeutet vor allem Phantasie. Eine Harmonie belangloser Tatsachen, die dem Herumschweifen eine metaphysische Sicherheit gibt. Auf der Straße lernt man was die Menschen wirklich sind; unter anderen Umständen oder später erfindet man sie. Was nicht auf der offenen Straße ist, ist falsch, abgeleitet, das heißt Literatur.“ *

Heute, gegen Ende meines Lebens habe ich die prägenden Gewohnheiten meiner Kindheit wieder aufgenommen. Ich nenne es sich durch die Straßen treiben lassen, unterwegs sein oder auch wandern. Und ich fotografiere oder schreibe mir auf was ich beobachte, was mich anrührt. 

 

* Henry Miller, Der vierzehnte Bezirk, S. 8, in: Schwarzer Frühling, Erzählungen, Rowohlt Taschenbuch 1610, 1989