Samstag, 23. April > Auf meinem Weg vom Nordwestzentrum nach Bornheim in den Günthersburg Park führt mich mein Weg meist durch den Hauptfriedhof. Oft nehme ich mir die Zeit für einen kurzen Besuch des Ehrenmals für die fast 5000 Toten beider Weltkriege und die Opfer der Nationalsozialistischen Diktatur.
Bei meinem letzten Besuch, vor einigen Tagen, setzte ich mich auf eine Bank unweit des Ehrenmals. Ich dachte an die unzähligen Kriege und ihre Toten nach den beiden Weltkriegen und der Rolle unseres Landes nach.
Sebastian Haffner hat in seinem Rückblick „Von Bismarck zu Hitler“ in seiner Einführung geschrieben: „ Wenn man die Geschichte des Deutschen Reiches gewissermaßen durch ein Fernrohr betrachtet, dann fallen sofort drei Sonderbarkeiten auf.“ Als erste nennt er „die kurze Lebensdauer dieses Reichs“, als zweite die dreimalige vollkommende Änderung seines inneren Charakters und und die Richtung seiner Außenpolitik und als dritte Auffälligkeit, „dass diese so kurze Geschichte mit drei Kriegen begann und mit zwei ungeheueren Kriegen, Weltkriegen, endete, von denen sich der zweite aus dem ersten mehr oder weniger ergab.“ Er schließt dann seine Betrachtung mit dem Fazit ab: „So ist die Geschichte des Deutschen Reiches fast eine Kriegsgeschichte, und man könnte versucht sein, das Deutsche Reich als ein Kriegsreich zu nennen“. (1)
Ich dachte an das Plakat von Käthe Kollwitz „Nie wieder Krieg“ aus dem Jahr 1924 (2). Die Mehrzahl der Deutschen entschieden sich damals anders. Sie folgten den Kasten der größenwahnsinnigen Nationalisten der Weimarer Republik bis in die Nationalsozalistische Diktatur und in den Zweiten Weltkrieg.
Ich dachte an die Nachkriegszeit – ich wurde zwei Jahre nach dem Krieg in den Trümmern des tausendjährigen Reiches geboren - an den sogenannten „Kalten Krieg“, die Stellvertreter-Kriege in Korea, Vietnam, die atomare Aufrüstung und die Kuba-Krise. Ich fühlte mich damals bedroht, verunsichert.
Ich dachte an den ersten Kampfeinsatz seit dem Zweiten Weltkrieg, an Bombardierungen durch deutsche Flugzeuge in den Jugoslawienkriegen.
Ich dachte an die Behauptung der Schröder-Regierung, Ende 2001, „unsere Freiheit würde in Afghanistan verteidigt“ mit der uns die Beteiligung der Bundeswehr an diesem Krieg verkauft wurde.
Ich dachte an die Kriege und Bürgerkriege dieser Welt - seit ich mich auf ihr herum treibe - den Golfkrieg, den Irakkrieg, die „islamistische Bedrohung“ unserer ach so friedlichen westlichen Zivilisation.
Ich dachte über das heutige Deutschland, in dem ich lebe, nach. Hat es nach 1945 eine veränderte Einstellung zu Krieg und Gewalt gegeben? Mir fiel ein Zitat aus der „Lektüre für Minuten“ von Hermann Hesse, einem meiner Lieblingsautoren ein:
“Die ganze Welt ist militant und gerüstet und zum Einsperren oder Totschlagen der Gegner bereit – nur wenn irgendwo einer von Verträglichkeit, Duldung und Brüderlichkeit spricht, hat er sofort alle Fronten der Welt gegen sich, vom amerikanischen Kapitalismus, bis zu Stalin, vom protestantischen Pfaffen bis zum katholischen. Es ist nichts Neues.“ (3)
Ich fürchte es hat sich auch heute nicht allzuviel verändert. Nur die Methoden wurden verfeinert. Die Bundesrepublik Deutschland, einer der größten Waffenhersteller und -händler, beteiligt sich wieder aktiv an Kriegen. Es ist wieder ein Kriegsreich.
Ich blieb noch eine Weile still sitzen und hörte den Vögeln und dem Wind in den Bäumen zu. Dann stand ich auf und setzte meinen Weg nach Bornheim in den Günthersburg Park fort.
(1) Sebastian Haffner, Von Bismarck zu Hitler - Ein Rückblick, Knaur Taschenbuch Verlag, April 2009 , Seite 10
(2) Wikipedia.de, Artikel über Käthe Kollwitz, abgerufen: 22.04.2016
Bild: "Nie wieder Krieg": /https://www.dhm.de/fileadmin/medien/lemo/images/p62-23.jpg
(3) Hermann Hesse, Lektüre für Minuten, Gedanken aus seinen Büchern und Briefen, neue Folge, Herausgegeben von Volker Michels, Suhrkamp Taschenbuch 240, 9. Auflage, 1981, Seite 9.
Ich treibe mich seit 77 Jahren auf dieser Welt herum und habe endlich Zeit mich ganz meinen "Leidenschaften" zu widmen.
Mit dieser Welt meine ich vor allem mein zuhause das Rhein-Main-Gebiet. In Wiesbaden wuchs ich auf und verbrachte ich meine Jugend, in Darmstadt studierte und arbeitete ich und in Frankfurt genieße ich meinen Lebensabend mit meinen Büchern, fotografieren und wandern.